Ein Jahr Elektromobilität - Rüdiger Brechler | Kreis Warendorf

1 Jahr Elektroauto: Erfahrungsbericht eines mobilen Umsteigers

(Dieser Text stammt von der EnergieAgentur.NRW, welche Ende des Jahres 2021 aufgelöst wird.)

 

Klima.Netzwerker Rüdiger Brechler zieht nach einem Jahr Elektromobilität seine persönliche Zwischenbilanz (Stand 2018).

„Wenn einer eine Reise tut,“ so lautet ein bekannter Vers, „dann kann er was erzählen.“ Hier handelt es sich zwar nicht um einen einzelnen Reisebericht, sondern um die Erfahrungen der Familie Brechler mit ihrem mobilen Neuzugang. Ein nun mittlerweile ein Jahr altes Elektroauto ersetzte im Februar 2017 den dieselbetriebenen Vorgänger als Familienauto – und absolvierte bisher viele kürzere und einige längere Fahrten.

 

Das Elektroauto der Familie Brechler

 

Zahlen & Fakten

Als gelernter Ingenieur hat Rüdiger Brechler natürlich ein umfangreiches Zahlenwerk zu Verbräuchen und Kosten während des ersten Jahres zusammengetragen. Hier ein Auszug:

 

Betrachtungszeitraum:10.2.2017 bis 9.2.2018
gefahrene Strecke:      14.913 km
geladene Strommenge insgesamt: 2.078 kWh
- davon zu Hause an eigener Wallbox (22 kW):1.386 kWh (66,7 %)  
Durchschnittsverbrauch:      13,9 kWh/100 km
- zum Vergleich: Herstellerangabe:  13,3 kWh/100km
Stromkosten (nur eigene Wallbox):378 €
Stromkosten pro 100 km (nur eigene Wallbox): 3,80 €/100 km  

 

Ein Vergleich der jährlichen Kosten zwischen dem Vorgängerauto und dem Elektroauto einschließlich Kfz-Steuer, Kfz-Haftpflichtversicherung mit Vollkasko und im vorliegenden Fall der monatlichen Batteriemiete ergab bei gleicher Fahrleistung eine Kostengleichheit (knapp 2.000 € im Jahr). Reparaturkostenansätze, Wertverlust und Kapitalkosten für die Finanzierung etc. blieben in diesem Vergleich unberücksichtigt. Und ehrlicherweise sollte man auch erwähnen, dass das Elektroauto als kleiner Kompaktwagen insgesamt kleiner ist als sein Vorgänger (Mittelklasse-Van).

 

Das ursprüngliche Ziel von Rüdiger Brechler, die jährlichen Kosten im Vergleich zum Vorgängerfahrzeug im gleichen Rahmen zu halten, wurde erreicht. Hätte er die Autobatterie zu einem um 8.000 € höheren Fahrzeugpreis gekauft und die Kapitalkosten auch weiterhin nicht berücksichtigt, hätten sich die jährlichen Kosten mehr als halbiert.

 

Reichweite und Ladedauer im Alltag

Nach dem europäischen NEFZ-Verfahren wird die Reichweite der im vorliegenden Fall eingebauten 41 kWh-Batterie mit 400 Kilometern angegeben. Der Hersteller selbst spricht von 300 Kilometern im sommerlichen Realbetrieb. Diese Reichweite entspricht bei Familie Brechler in etwa der wöchentlichen Durchschnittsfahrleistung. Bei einer Ladeleistung von 22 kW an der heimischen Wallbox würde dies rein rechnerisch eine Vollladung pro Woche mit knapp zwei Stunden Ladedauer bedeuten. Soweit die Überlegungen und Entscheidungsgründe, die bei Familie Brechler im Herbst 2016 dazu geführt hatten, genau dieses Elektroauto mit der für private Anwendungen recht leistungsstarken Wallbox zu kaufen.

 

Doch wie sah es nun in der Alltagspraxis aus? Hier stellte sich schnell heraus, dass sich die automobilen Gewohnheiten von Autofahrern, die auf Elektromobilität umsteigen, im Regelfall ändern. Man fährt nicht mehr bis der Tank leer ist, um dann die gewohnte – oder unterwegs die nächstbeste – Tankstelle anzusteuern. Vielmehr laden die meisten Elektroautofahrer ihre Autos zu Hause auf. Unterwegs auf vertrauten Strecken werden meist zwischendurch lediglich mal kostenfreie Lademöglichkeiten genutzt.

 

Längere und unbekannte Strecken, auf denen zwingend nachgeladen werden muss, werden vorher geplant. Dies geschieht zumeist anhand diverser nützlicher Apps, die von Autoherstellern, Ladeverbundbetreibern oder auch von Anwenderforen angeboten werden. Die Folge dieser Gewohnheitsänderung: Familie Brechler lädt zu Hause etwa zweimal pro Woche auf, dafür aber kürzer. Und kostenfreie Lademöglichkeiten in der näheren Umgebung werden für das Zwischenladen gerne genutzt und beispielsweise mit dem Einkauf verbunden.

 

Die in Aussicht gestellten 300 Kilometer Reichweite lassen sich von Rüdiger Brechler zumindest in der Zeit von April bis November in etwa bestätigen. In etwa deshalb, da er den Akku bislang noch nie leergefahren hat.

 

Reichweitenrekord im Oktober 2017

 

Aber es gibt bei Elektroautos in der Tat zwei wesentliche Faktoren, die auch im flachen Münsterland erheblichen Einfluss auf die tatsächliche Reichweite haben: die Außentemperatur und die Reisegeschwindigkeit.

 

Beim Parken im Freien während der kalten Winternächte mit Minustemperaturen kann die Reichweitenanzeige auch mit nahezu vollem Akku auf die Hälfte des NEFZ-Wertes schrumpfen. Und Autobahnfahrten machen mit dem Elektroauto von Familie Brechler spätestens bei Geschwindigkeiten über 120 km/h keinen wirklichen Spaß mehr – zumindest nicht, wenn man auf längeren Strecken über 200 Kilometer Distanz eigentlich keine weiteren Ladepausen einkalkuliert hat.      

 

Zwischenfazit: Familie Brechler kommt mit der Reichweite ihres Fahrzeugs bei einer wöchentlichen Fahrleistung von etwa 300 Kilometern im Stadtgebiet und auf Landstraßen sehr gut zurecht. In der Regel reichen zwei Ladevorgänge an der heimischen Wallbox pro Woche, die im Durchschnitt etwa 2,5 Stunden dauern – im Sommer etwas weniger, im Winter etwas mehr. 

 

Erfahrungen mit der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur

Studien sagen aus, dass bisherige Nutzer von Elektroautos bis zu 90 Prozent zu Hause laden. Dies hat natürlich seine Gründe. Ein Motiv sind fehlende Alternativen, etwa ein Mangel an öffentlich zugänglichen Ladesäulen in der Umgebung des Wohnortes oder beim Arbeitgeber. Ein anderes sind sicherlich auch die im Vergleich zur heimischen Steckdose in der Regel höheren Ladegebühren bei den professionellen Ladesäulenbetreibern, selbst wenn Ladesäulen in der Nähe vorhanden sind.

 

Im Falle von Rüdiger Brechler und seiner Familie wurde das Elektroauto zu zwei Dritteln zu Hause geladen und zu einem Drittel unterwegs. Die Situationen für das externe Laden lassen sich wiederum in zwei Fälle einteilen: Die kostenfreien, öffentlich zugänglichen Angebote in der Nähe der Arbeitsstellen und des Wohnortes, die zum günstigen Zwischenladen genutzt werden, sowie die Ladesäulen an Zielen, die man bislang nicht kennt.

 

Gerade die letzte Kategorie der unbekannten Ladeorte birgt ein gewisses Überraschungspotenzial. Vor allem dann, wenn man das Gebiet des regionalen Stromnetz- und damit häufig auch dominierenden Ladesäulenbetreibers wechselt. Technische Funktionsstörungen oder Fehler beim Freischalten der Ladesäulen sind dabei nicht das Problem, da dies nur sehr selten auftritt. Ärgerlicher ist da eher eine fehlende Transparenz bei den Strompreisen. Und das kann insbesondere bei Zeittarifen mit geringen Ladeleistungen teuer werden. In einem Fall musste Familie Brechler so einen Durchschnittspreis von 1,32 €/kWh bezahlen. Das entspricht im Vergleich etwa einem Preis von 13 € pro Liter Kraftstoff. Denn auch wenn die Ladetarife im „Kleingedruckten“ oder in den AGBs der Ladesäulenbetreiber veröffentlicht sein sollten, ist der Preis oftmals nicht auf den ersten Blick erkennbar: Hier wünschen sich Elektroautofahrer eine Preistransparenz wie an einer Tanksäule.

 

Wallbox am Haus der Familie Brechler

 

Dennoch: Nach den bisherigen Erfahrungen ist für Rüdiger Brechler das Laden an öffentlich zugänglichen Ladensäulen zuverlässig und unproblematisch. Mit Hilfe diverser Apps und Dank der zunehmenden Kooperation unter den Ladenetzbetreibern ist das Auffinden und auch der Zugang zu den Ladesäulen mit wenig Aufwand verbunden. Mit einer steigenden Anzahl von Elektroautos muss das Netz von Lademöglichkeiten allerdings verdichtet werden, was in der Praxis auch stattfindet. Nachholbedarf gibt es speziell in den innerstädtischen Wohnquartieren. Dort, wo die Menschen in mehrgeschossigen Mehrfamilienhäusern wohnen, die Autos vielerorts an Straßenrändern parken und die Lärm-, Feinstäub- und Stickoxid-Emissionen mit am höchsten sind. Hier kann die private Elektromobilität eine zukunftsfähige Ergänzung zu den ebenfalls auszubauenden Mobilitätsangeboten für Fußgänger, Radfahrer sowie den Bus- und Stadtbahnverkehr bilden.

 

Ausblick & Planungen für 2018

Familie Brechler hat die Phase als elektromobile Einsteiger mit viel Spaß und neuen Eindrücken gut überstanden. Für 2018 ist sogar eine längere Fahrt an die belgische Nordseeküste geplant –  mit ihrem Elektroauto und sicherlich neuen Ladeerfahrungen.